Das Wort Françafrique wurde vom damaligen Präsidenten der Elfenbeinküste, Félix Houphouët Boigny, kreiert, um kurz vor der Unabhängigkeit 1960 seinen Willen zu zeigen, gute Beziehungen mit Frankreich aufzubauen. Später verwendete der antikoloniale Aktivist François-Xavier Verschave den Begriff, um Netzwerke und Lobbys zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika zu beschreiben. Die sichtbarste Form davon ist der alle zwei Jahre stattfindende Frankreich-Afrika-Gipfel, bei dem ein afrikanischer Führer nach dem anderen den französischen Kollegen und Lehnsherren Anerkennung zollen kann.
Im Jahr 2000 erinnert Verschave in seinem Buch „Noir silence. Qui arrêtera la Françafrique“ („Schwarze Stille. Wer stoppt Françafrique“) an die Ursprünge des Systems: General de Gaulle befahl seinem Berater für afrikanische Angelegenheiten, Jacques Foccart, sich die alten Kolonien als „Satelliten“ zu halten, indem man sie in allen Bereichen abhängig macht, ökonomisch, kulturell, finanziell und auch militärisch.
Frankreich unterhält weiterhin Militärstützpunkte in Dschibuti, Libreville (Gabun) und Dakar (Senegal). Französische Truppen sind in Côte d’Ivoire, Tschad und Zentralafrika (siehe SWM 7-8/09) im Einsatz.
Der französische Geheimdienst DGSE ist allgegenwärtig auf dem Kontinent. Er trainiert die Präsidentengarden vieler afrikanischer Führer, und ehemalige DGSE-Agenten arbeiten gerne in den Sicherheitsdiensten der Öl-Multis wie dem französischen transnationalen Unternehmen Total. Seit der Unabhängigkeit afrikanischer Staaten wurden zahlreiche französische Geheimdienstler wegen „Einmischung in afrikanische Staatsangelegenheiten“ angeklagt, wie der Ermordung des kamerunischen Politikers Félix Moumié 1960 in Genf oder der Unterstützung des Putsches gegen den malischen Präsidenten Modibo Keita 1968. Bei anderen Gelegenheiten wurden Söldner in Stellvertreterkriegen bezahlt, wie der berühmt-berüchtigte Bob Denard u. a. im Biafrakrieg in Nigeria. Frankreich griff dadurch in Konflikte in den ehemaligen Kolonien ein, ohne dass es zu völkerrechtlichen Verwicklungen für die Republik kommen konnte.
Andere Interventionen Frankreichs wurden heimlich durchgeführt, wie die „Befreiung“ Ruandas, wie Paris François Mitterrands „geheimen Krieg“ an der Seite von Juvénal Habyarimanas rassistischem Hutu-Regime zwischen 1990 und 1994 nannte, der ohne parlamentarische Kontrolle durchgeführt wurde. Als Vorwand hielt der Vormarsch Paul Kagames Ruandischer Patriotischer Front als „angelsächsische Verschwörung“ her. Der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ zufolge gab Crédit Lyonnais drei Monate vor dem Genozid 2004 Habyarimanas Armee sechs Millionen US-Dollar für den Kauf von Mörsern, Granaten und Gewehren. Die Armee war maßgeblich in die darauf folgenden Massaker involviert. Während des Genozids, gestand der damalige ruandische Finanzminister Marc Rugenera, habe die Zentralbank von Ruanda Geld von ruandischen Privatbanken an die Pariser Nationalbank überwiesen, um Waffen zu kaufen.
Während des Bürgerkriegs in Kongo-Brazzaville 1997 hat die FIBA-Bank, Eigentum des französischen Öl-Multis Elf Aquitaine, den Erwerb von Kampfhubschraubern und Waffen für das Regime von Pascal Lissouba finanziert. Elf unterstütze jedoch auch die Gegenseite: Seine Schiffe transportierten die angolanischen und kongolesischen Soldaten, die Lissouba stürzen sollten, in den Hafen von Pointe-Noire.
Etwa fünfzig Jahre nach der Geburt von Françafrique versprach der französische Präsident Nicolas Sarkozy am 28. Februar 2008 die „Neugestaltung“ der Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika. Manche glaubten da an ein Ende von Françafrique. Doch nicht einmal einen Monat später, am 20. März 2008, wurde der damalige französische Entwicklungsstaatsekretär, Jean-Marie Bockel, gefeuert – nachdem ein Anruf des gabunischen Präsidenten, Omar Bongo, bei Sarkozy eingegangen war. Der Despot war aufgebracht, dass Bockel ihn in einem Interview mit der franzöischen Zeitung „Le Monde“ als Beispiel für schlechte Regierungsführung genannt hatte. Offensichtlich setzen sich weiterhin Wirtschaftsinteressen gegen andere Überlegungen durch.
Weiteres Paradebeispiel: Sarkozys Besuch in Niger und der demokratischen Republik Kongo 2009, um die Interessen des französischen Nuklearkonzerns Arevas zu bewerben. In Kinshasa sicherte Sarkozy dem Konzern die alleinigen Rechte zur Prospektierung von Uran in Kongo. Andererseits hat Sarkozy sich nicht für die Aufhebung des Verbots von Radio France International eingesetzt, das seit kritischen Äußerungen gegenüber Kabilas Regime in Kongo gilt.
Die ehemalige Richterin Eva Joly, jetzt Vorsitzende des Entwicklungsausschuss des Europaparlaments, sagt, dass die Eile, mit der französische PolitikerInnen zu Omar Bongos Beerdigung erschienen sind, um ihm Tribut zu zollen, viel über das Weiterbestehen des Netzwerks von Françafrique sagt. Frankreichs offizielle Reaktion nach den Präsidentschaftswahlen in Gabun zeigt, dass das Françafrique der „alten Schule“ alles andere als tot ist. Karikaturenhaft haben Frankreichs Staatssekretär Alain Joyandet und Außenminister Bernard Kouchner nicht einmal die offiziellen Wahlergebnisse abgewartet, geschweige denn auf den Verdacht auf Wahlfälschung der Afrikanischen Union gehört, sondern haben Bongos Sohn Ali sofort zu seinem Sieg gratuliert (siehe SWM 10/09). „Sarkozy selbst war unter den ersten Gratulanten an Ali Ben Bongo“, sagt der Politikwissenschaftler und Buchautor Olivier Vallée.
Solch Enthusiasmus überrascht nicht. Françafrique arbeitet in beide Richtungen. Ein Garant für französische Interessen, wie Omar Bongo es war, ist sehr einflussreich. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Frankreich sowie Ölfirmen den gabunischen Präsidenten für die Erdölförderrechte im Land bestochen haben. Doch gleichzeitig hat Bongo die französische Politik manipuliert. Einen Tag nach seinem Tod hat der ehemalige französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing enthüllt, dass Bongo die Wahlkampagne seines Rivalen Jacques Chirac 1981 finanziert hatte. Die französische Presse deckte auch auf, dass Bernard Kouchners Beratungsunternehmen ansehnliche Summen von der gabunischen Regierung kassierte, bevor er Außenminister unter Sarkozy wurde.
Olivier Vallée meint, dass Françafrique eine gewaltige Anpassungsfähigkeit demonstriert hat. 2009 ist das Netzwerk immer noch sehr präsent, vor allem im Umfeld der großen transnationalen Firmen wie Bolloré (Transportwesen) oder Bouygues (Baugewerbe). Afrika ist die Haupterdölquelle des Unternehmens Total, das 2000 mit Elf Aquitaine fusionierte. Es fördert Erdöl in sieben Ländern und verkauft in 40 Ländern Öl und Benzin. „Viele transnationale Firmen zahlen nur geringe Steuern“, sagt Eva Joly, die die Nachforschungen im Elf-Skandal in den 1990er Jahren geführt hat. Demzufolge war die Banque Nationale de Paris, die 182 Zweigstellen in „Steueroasen“ hat, oft darin involviert, afrikanischen Führern Geldtransaktionen zu ermöglichen, um Einnahmen aus dem Ölgeschäft auf Konten in diesen Steueroasen zu parken. Seltsam genug, dass 1999 und 2002 248 Millionen US-Dollar aus den Einnahmen der Erdölförderung nicht am Staatskonto von Kongo-Brazzaville aufscheinen, schenkt man dem Internationalen Währungsfonds Glauben.
Das Françafrique-Netzwerk bleibt mächtig. Olivier Vallée ist der Meinung, dass sich die Tentakel des Françafrique-Netzwerks auch an die EU und die Bretton-Woods-Institutionen herantasten. „Ein Besuch in Paris hilft jedem afrikanischen Finanzminister, um ein Problem zwischen seinem Land und der EU zu lösen. Und sollte bei dem Besuch Sarkozys Wunschkandidat Dominique Strauss Kahn, Direktor des Internationalen Währungsfonds, anwesend sein, kann ein Besuch in Paris auch der Versöhnung zwischen einem afrikanischen Land und den multilateralen Institutionen in Washington dienlich sein“, ist sich Vallée sicher.
Doch AfrikanerInnen protestieren zusehends gegen französische Autoritäten, die einen Diktator oder auch Wahlfälschung zu unterstützen scheinen. Entweder friedlich, wie der Reggae-Musiker von Côte d’Ivoire, Tiken Jah Fakoly, der 2002 eine CD namens „Françafrique“ herausgegeben hat, oder in gewalttätigerer Form, wie die DemonstrantInnen nach den Wahlen in Gabun letzten August, die das französische Konsulat angezündet haben. Kurz davor gab es in Frankreich einen Durchbruch. Am 6. Mai hat zum ersten Mal ein französischer Richter eine Klage von Transparency International gegen amtierende Staatspräsidenten genehmigt. Die Antikorruptions-Organisation klagt Omar Bongo und seinen Kompagnon Teodoro Obiang Nguema aus Äquatorialguinea sowie Denis Sassou Nguesso aus Kongo-Brazzaville wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder an. Bis dahin wurden solche Bestrebungen vom französischen Generalstaatsanwalt nach Weisungen des Justizministers immer blockiert.
Aus dem Englischen übertragen von Michaela Krimmer.